Malte Lück
eine Aktion/Performance mit Installation.
14.05. – 22.05.2011
im Kunstgebäude Schlosshof Bodenburg
„Das Leben ist naturgemäß niemals leicht.“
(Albert Camus, Le Mythe de Sisyphe, 1942 )
Formwerdung eines plastischen Gegenstandes aus der Vogelperspektive betrachtet
Zur Versuchsanordnung:
Das Video beginnt mit einem oszillierenden, waagerechten blauen Lichtstreifen, in dessen Mitte sich eine schwarze rechteckige Fläche verdichtet; sehr bald endet diese Sequenz mit einem Schnitt, und der Blick wird freigegeben auf eine Art Bühne.
Vor dem Zuschauer liegt auf unzähligen, am Boden ausgelegten Gummibändern der Künstler auf der rechten Körperseite in leicht gekrümmter Haltung mit angewinkelten Beinen. Ganz in Weiß gekleidet hebt er sich vom Untergrund ab, das von rechts einfallende Licht wirft einen breiten Schatten zur linken Seite. Das unscharfe Bild lässt keine genaue Fokussierung zu, das Gesehene muss in Relation zum Erkennbaren gesetzt werden, verstärkte Aufmerksamkeit ist gefordert.
Nach kurzer Zeit bewegt sich der am Boden liegende Mensch in einer leichten Drehung zur Linken, greift mit der Hand in das Meer von Gummibändern und steckt diese durch eine Öffnung unter das Hemd, fasst mit der Rechten nach und beginnt – für den Betrachter nur andeutungsweise sichtbar – die Gummibänder zu verbinden, zu verknoten, was auch immer: Es bleibt dem Blick des Zuschauers verborgen. Der Kopf folgt der Drehung, ist jedoch am aktiven Geschehen unbeteiligt. Dennoch bemerkt man die Anstrengung, die dem Performer das Geschehen bereitet.
Variiert werden im Verlauf des Videos die Drehbewegungen, mal zur Rechten, mal zur Linken, immer mehr Gummibänder verschwinden unter dem Hemd, die Hände bleiben aktiv damit beschäftigt, etwas in Form zu bringen. Verzögert, bedächtig, langsam sind die Aktionen, es vollzieht sich etwas und bleibt doch unsichtbar. Im Meer der Bänder entstehen Lücken, kleine Inseln, Aussparungen, die allmählich zu einer weissen Fläche anwachsen. Das Ende naht in einer großen Linksdrehung: Der Akteur zieht die Rechte aus dem Hemd, in der Hand einen kleinen Ball, der in der weissen Fläche abgelegt wird. Liegen bleibt ein Ball aus Gummibändern und sein Schatten, der Mensch dreht sich zur Seite in die entgegengesetzte Richtung.
Die letzte Einstellung zeigt wieder einen oszillierenden Lichtstreifen auf dunklem Hintergrund, dann plötzlich ein Papier, zerrissen durch den Ballen, vielleicht, ja tatsächlich.
Soweit das eigentliche Geschehen. Was ist passiert? Zu sehen ist der Ablauf einer künstlerischen Handlung, die Umwandlungsgeschichte von kleinen, flexiblen Materialien zu einem kompakten, plastischen Ganzen, welches tatsächlich am Ende seine Durchschlagskraft unter Beweis stellt.
Akteur ist der Künstler, beobachtet von einem imaginären Betrachter, der einen erhöhten Standpunkt eingenommen hat. Das Arrangement wird in Echtzeit aufgenommen. Im Lichtkegel präsentiert sich der Künstler seinem Beobachter fast vollständig. Jedoch wirkt er nicht großartig und genial, im Gegenteil eher klein und ein wenig verloren. Die neutral weiße Arbeitskleidung erinnert an die Uniform eines fernöstlichen Kampfsportlers. Doch kämpferisch sieht er nicht aus.
Erst im Verlauf der Aktion erschließen sich die wiederkehrenden Bewegungen wie ein Ritual, das einen Ablauf erahnen lässt, dessen Ende nicht vorherzusehen ist. Denn eigentlich sieht man nicht, was der Künstler tut. Er verbirgt seine Handlungen unter der Kleidung und entzieht sie so den Blicken seiner Zuschauer.
Als Betrachter empfindet man die Anstrengung, die mit dem ganzen Prozess einhergeht. Nichts scheint daran wirklich einfach oder gar mühelos zu sein. Der Mensch bleibt den Blicken ausgesetzt, nur sein Handeln kann er verstecken. Die eigentliche Arbeit findet im Verborgenen statt.
Über das Warum kann nur spekuliert werden. Malte Lück führt seine Zuschauer in den Grenzbereich zwischen Kunst und Leben, dahin wo der Künstler dann am Ende doch einsam ist, vereinzelt, im alltäglichen, unbestimmten Meer der vielen kleinen Gummibänder, gefangen in der Vielfalt und den Zwängen seiner Lebenswelt. Er scheint ihr nicht auszuweichen, eher passt er sich an, in gleichmässigen Bewegungen verleibt er sich das Außen nach innen ein, verändert es und bringt es als Produkt wieder nach draußen.
Dieses Produkt ist ein Ballen, es entpuppt sich als ephemerer Alltagsgegenstand, zusammengefügt aus kleinen Einzelteilen. Entstanden ist ein kompaktes, dreidimensionales Gebilde, dessen Material bleibt wie es ist; es hat eine plastische Verdichtung erfahren, jedoch keine Veränderung seiner Materialität. Die neue Form erlaubt jetzt erweiterte Funktionen; der Ballen eröffnet eine kleine Welt neuer Nutzungen: als Spielballen, als Wurf- oder Schleuderballen, als Gummiringaufbewahrungsballen.
Die Zuschauer jedoch verbleiben in der Position der Beobachter. Interaktivität ist ausgeschlossen, da die künstlerische Aktion als solche schon längst vorbei ist; als Videoaufzeichnung kann sie aber beliebig oft wiederholt werden.
So verdichtet sich das Augenmerk auf das Handeln des Künstlers, auf den Prozess seiner künstlerischen Arbeit und weniger auf den hergestellten Gegenstand. Am Ende ist die Aufzeichnung das künstlerische Produkt und nicht der gefertigte Gummiballen.
Die Handlung in Echtzeit hat die Form einer Erzählung. Eingebettet in eine Rahmenhandlung, vom Lichtstreifen zum Wurfball, der ein Stück Papier zerreißt, die sich als mögliche Erlösung andeutet, wird dem Betrachter die Geschichte des Mythos vom Künstler erzählt. Unter ganzkörperlichem Einsatz ist er mit einem Formprozess beschäftigt, der seinen Gegenstand über den Umweg der Einverleibung in eine andere Form bringt und diesen wieder nach außen entlässt, wo er dann nach Belieben zum Gebrauch bereitgestellt ist.
Malte Lück ist angetreten, etwas zu bewegen: aufnehmen, herumdrehen, verbinden und auswerfen. In vielen seiner Aktionen thematisiert er existentielle menschliche Gefühlen und Erfahrungen wie Liebe, Tod, Gewalt und Ausgeliefertsein. Er deckt Widersprüche auf, soziale und gesellschaftliche Zwänge, die Menschen da verorten, wo sie möglicherweise gar nicht sein wollen. Kann man mit Reflexion, dem Anspruch auf Selbstverwirklichung und dem Einsatz kreativer Potentiale sich befreien oder einen subjektiven Entwurf voranbringen? Lück ist es ein Anliegen, nicht nur sich, sondern auch seine Zuschauer davon zu überzeugen.
Die Arbeit benennt er nicht zufällig „ballen“. Bewusst hat er das Verb gewählt, um sich aktiv zu positionieren. Als Mensch ist er zwar ungefragt in diese Welt hineingeboren, im Video auf dem Boden liegend auf hunderten von schwarzen Gummibändern, die für gegebene Strukturen, aber auch für ungeordnetes Chaos stehen können. Aktiv verändernd greift der Künstler ein und schafft eine Form durch subjektive, spontane Handlungen. Das Verstecken des eigentlichen Vorgangs unter dem weissen Hemd läßt sich als notwendiger Selbstschutz des Individuums deuten.
Dabei bringt er etwas Neues, Eigenes hervor er und macht seinem Zuschauer das Angebot, das Geschehen für sich zum Anlass eigenen Erlebens zu machen.
Ros Sachsse-Schadt